Dialog mit Jochen Knoblauch

Ein Dialog zwischen den Lyrikern Hermann Borgerding und Jochen Knoblauch vom 21.10.22 via facebook-Messenger:

 

 

Hermann: Hallo Jochen, Willkommen bei meinem ersten Interviewversuch!


Jochen: Danke für die Einladung.

Hermann: Ich fang mal ganz banal an: Erzähl doch einfach mal n bisschen über dich, über dieses große Dorf in dem du lebst und über deine Schreiberei…

(Okay, doch viel auf einmal…)

Jochen: O.k., Ich bin Jahrgang 1954 und in (West-)Berlin geboren und mit einer Ausnahme von drei Jahren in Essen immer hier ansässig. Geschrieben habe ich schon in der Schule - Antikriegsgedichte Ende der 1960er Jahre gegen den Vietnam-Krieg - aber zum Glück haben die nicht überlebt.

Hermann: Essen? Da habe ich auch n halbes Jahr gelebt. In Kray.

Jochen: Wir haben in Essen-Segeroth die Kneipe Regenbogen gemacht. Das war Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre.

Hermann: Schade, die kenne ich nicht. Aber damals war ich wohl auch noch zu jung.

Jochen: Zuvor ist mein erstes Buch erschienen im Selbstverlag "Sürrealismus - geschriebenes".

Hermann: Im Selbstverlag haben wohl die meisten von uns angefangen, dich scheint es dann gepackt zu haben, oder?

Jochen: Eigentlich war das Erstlingsbuch eher ein Flopp... danach kam noch der "Rock 'n' Roll Nigger" aber in Essen dachte ich dann langsam, dass meine Fähigkeit eher darin liegt ein Verleger zu sein und habe einen Kleinverlag gegründet: Edition Kalter Schweiß.

Hermann: Du kennst also beide Seiten der „subkulturellen Literatur“, oder wie würdest du den „Underground“ bezeichnen?

Jochen: Die Branche kenne ich ganz gut, denn danach habe ich noch in einem (bzw.) zwei Buchvertrieben gearbeitet, sowie als Buchhändler und Verlagsvertreter... Immer ging es mehr oder weniger um Kleinverlage und Selbstverleger:innen. Aber die Bezeichnung "Underground" ist schwierig... Es gibt Leute, die behaupten, dass es die gar nicht (mehr) gibt.

Hermann: Das sind meiner Ansicht nach alles Schubladen. Ich sehe das nicht so eng. Du bist ja also schon sehr lange dabei. Hast du irgendwann mal Abstand genommen oder hast du dein Leben lang mit der Literatur verbracht?

Jochen: Sicher sind Kategorisierungen alles "Schubladen", aber wenn wir von einem Kreis ausgehen von Schreibenden, die NICHT davon leben (können), sowie Kleinverlage, die mit Ach und Krach überleben, dann haben wir ungefähr einen Kreis von Enthusiasten, die das Ganze tragen - und wichtig sind.

Hermann: Ich denke, der Kreis der Enthusiasten ist gar nicht so klein. Und wird durch die sozialen Netzwerke immer größer.

Ich bin mir bloß nicht immer sicher, ob das grundsätzlich positiv ist…

Jochen: Stimmt. Aber auch das Buchproduzieren ist einfacher geworden durch den Digitaldruck. Zu meiner Zeit mußte ich mindestens 1000 Exemplare herstellen lassen, um auf einen halbwegs realistischen Preis zu kommen, und das kostete dann ca. 4-5000 DM. Heute machst Du 100 Ex. für 400 Euro. Das heißt, jede:r kann heute ein Buch produzieren ohne großen Aufwand.

Hermann: Was ich auch grundsätzlich toll finde. Wenn da halbwegs Herzblut und Qualität hinter steckt.

Hermann: Dafür gibt es sehr tolle Gedichtbände von dir. Schreibst du hauptsächlich Lyrik?

Jochen: Lyrik schreibe ich erst seit ca. 10 Jahren wieder verstärkt. Es fällt mir leichter. Ich habe drei "Sachbücher" geschrieben, und das ist für mich eine Quälerei. Danach war ich immer fix und fertig.

In den 1980er Jahren habe ich weniger geschrieben. Erst als ich meinen Buchladen/Buchvertrieb "AurorA" aufgegeben habe wollte ich mehr journalistisch arbeiten, bzw. Buchrezensionen schreiben, musste aber schnell feststellen, dass es hier "Beziehungen" braucht usw. Eine zeitlang habe ich dann das blog "knobi – der büchernomade" betrieben, aber den gibt es jetzt schon länger nicht mehr. Für Tageszeitungen und Magazine zu schreiben habe ich heute wenig Lust.

Hermann: Hast du Kontakt zu anderen Poet:innen? Wie ist dein Eindruck?

Jochen: Von den meisten Kolleg:innen bin ich eher fasziniert als von so manchen "großen" Dichtern bzw. Lyrikern. Ich kenne so einige persönlich. Hier in Berlin besonders die Aktivisten (anders kann man das nicht sagen) der Prenzlauer Berg Connection, wie Bert Papenfuß, Kai Pohl usw. aber auch andere. Ich sehe mich ja auch eher als ein Buch-Propagandist. Ich möchte, dass die Leute lesen, deshalb schreibe ich Rezensionen. Aber auch immer nur über Bücher, die mich selbst interessieren, und von denen ich möchte, dass auch andere sie lesen. Mein Eindruck: Die Szene hier in Berlin ist sehr aktiv. Es gibt zahlreiche Orte, an denen Lesungen stattfinden können und die Prenzlauer Berg-Connection hat gerade jetzt mal wieder ein kleines Festival am Laufen mit Dutzende von Autor:innen / Lyriker:innen. Hier läuft viel über Kneipenbekanntschaften. Und die Ostberliner waren auch sehr mit dem musikalischen Underground der DDR verbandelt. Und die Zeitschriftenprojekte der Ost-Berliner (wie etwa "Abwärts" oder "Drecksack") sind auch offen für alle andere. Alles in allem hier eine spannende und sehr Aktive Szene.

Aber viel stärker bin ich ja seit rund 50 Jahren in der Anarcho-Szene verwurzelt, aber da ist halt alles etwas anders, selbst mit den Verbindungen zu anarchistischen Dichtern wie Erich Mühsam, John Henry Mackay oder den noch lebnden Lyriker Ralf Burnicki.

Aber richtig sozialisiert wurde ich eher mit der Beat-Generation: Allen Ginsberg, Jack Kerouac, William S. Bourroughs usw.

Hermann: Jau, Da bin ich etwas neidisch: Hier im tiefsten Münsterland läuft wenig bis nichts. Ich muss also auf das Internet zurückgreifen. Bei deinen Gedichten lese ich natürlich die anarchistischen Wurzeln und den Background der Beat-Generation raus. Wahrscheinlich bin ich deshalb auch so fasziniert. Lyriker:innen sind Utopist:innen. Und Kämpfer:innen. Ich glaub, anders kann es nicht funktionieren, oder?

Jochen: Zumindest bei den Enthusiast:innen. Allgemein scheint ja z.Zt. im Mainstream eher Wald und Wiesen-Lyrik angesagt zu sein... mir ist das zu wenig.

Wo Du lebst, ist glaube ich nicht entscheidend. Sicher bedarf es einer gewissen Neugier und Aufmüpfigkeit, aber die Bücher finden Dich egal wo Du bist.

Was waren Deine ersten Bücher, die Du gelesen hast?

Hermann: Ich gestehe, Enid Blyton. Aber sehr schnell auch Erich Kästner. Und dann in der Jugend Bukowski (klar) und sehr früh Ludwig Fels, Wolf Wondratschek und der großartige Peter-Paul Zahl.

Und bei dir?

Jochen: Na, siehste... der Weg ist doch ganz klar. Enid Blyton habe ich ausgelassen. Meine erste Lektüre war "Gullivers Reisen", "Robinson Crusoe" und dann die gleichen in etwa wie Du. Ludwig Fels ist leider sehr unterschätzt. Aber noch mal zu den Orten: In dem biographischen und sehr poetischen Roman "One Trip Pony" von Wolf Pehlke, geht es um eine Jugend auf dem Land. Und ich mußte feststellen, dass die nicht viel anders war, als meine in West-Berlin: Sex, Drugs und Rock 'n' Roll incl. linken Treffpunkt war alles dabei

Hermann: Naja, meine Jugend war ja der Ruhrpott. Und da gab es natürlich auch die Szene. Das Land ist jetzt eher mein momentaner Alterssitz.

Jochen: Ist doch alles o.k. Ich würde gerne aufm Dorf am Meer leben... Die Großstadt, bzw. der Kiez kann auch anstrengend sein.

Hermann: Themenwechsel: Poesie und Musik. Du hast in deinen klaren Worten einen deutlichen, abgeklärten Rhythmus. Ich denke, dass muss so. Bist du musikalisch beeinflusst?

Jochen: Tja, die Musik muss noch drin sein... Du scheinst ja ein echter Musik-Junki zu sein. Aber im Ernst: Musik ist wahnsinnig wichtig und sicher auch ein Motor für mein Schreiben, zumal mein Englisch ziemlich schlecht ist, und oft habe ich in die Musiktexte mehr gelegt als letztlich drin war. Und aufgrund meines Alters habe ich mehrere Phasen durchgemacht von Beatles und Stones, Dylan und Cohen, Ton Steine Scherben und deutschen Liedermachern zu NDW und Reggae und Punk und so manches dazwischen. Aber auch vieles ist schlichtweg an mir vorbei gegangen, wie etwa Dein geliebter Peter Gabriel... Sorry.

Ich habe irgendwie festgestellt, dass ich seit fast 20 Jahren mir kaum was Neues anhöre. Ich gehe zurück zum Blues und Rock 'n' Roll. Auf der anderen Seite habe ich ja 15 Jahre lang hinterm Tresen im Berliner Tempodrom gearbeitet. Dort gab es jede Menge Konzerte. Von Dylan und Cohen über Motorhead und Iggy Pop, oder den Bulgarischen Stimmen oder einer drei Tage währenden indischen Hochzeit bis hin zu einem grauenhaften Firmenkonzert mit Dieter Bohlen. Danach wollte ich eigentlich nur noch zu Konzerten von Cohen und Williy deVille - aber jetzt sind beide tot.

Hermann: Ich habe bewusst Corona-Pest, aktuelle Kriege und Gesundheit hier rausgelassen. Ist das okay.?

Jochen: Die Themen Pest, Krieg und Gassparen kann man beackern, muss man aber nicht. Ich weiß, dass sich bei diesem aktuellen Themen wie Krieg und Corona beste Freund:innen zerstritten haben. Es ist fürchterlich, Keine Ahnung, wieso das für die Leute so wichtig ist, unbedingt Recht zu haben.

Hermann: Jau. Und ich habe keinen Bock, mir meine Utopien zerstören zu lassen. Leider muss ich langsam zum Schluss kommen. Aber ich habe ein gutes Gefühl hierbei. Ich werde das Ganze kopieren, n bisschen den zeitlichen Dialog anpassen und dir das dann rüberschicken, ob das so okay ist. Wenn du dein okay gibst, erscheint es in meinem Blog und kann von uns beiden genutzt werden.

Jochen: Ich wünsche Dir noch einen schönen Abend. Gruß Jochen

Hermann: Dir auch noch einen schönen Abend. Und danke!

 

 

Nachtrag Hermann:


Weitere Infos über Jochen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Jochen_Knoblauch

Aktuelle Gedichtbände bei https://dialog-edition.de/de/

 


 

N paar Tage später.

Gesundheitlich und vor allem emotional wurde ich dann doch die letzten Tage etwas zurückgeworfen.

Aber jetzt habe ich das endlich in meinen Blog gesetzt und veröffentliche es, Jochen hat es noch einmal überarbeitet...


 

Weitere Infos über Jochen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Jochen_Knoblauch

 

Aktuelle Gedichtbände bei https://dialog-edition.de/de/

 

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Kommentare: 1
  • #1

    jochen knoblauch (Donnerstag, 27 Oktober 2022 22:54)

    Lieber Hermann,
    schön, aber ein paar Korrekturen hätte das Ganze noch vertragen können... :-)
    Gruß
    Jochen