Ohne Regen kein Regenbogen

 

Als wir aus dem Arztzimmer und dem Krankenhaus traten schien die Sonne. Mittags im Frühherbst und es wurde angenehm warm.

Claudia ging noch zur Radiologischen Praxis um den Termin für mein nächstes CT klarzumachen und ich atmete tief ein und aus. 

Als sie dann zurückkam gingen wir zum Auto und da umarmten wir uns erstmal ganz fest. 

Und ich fing an zu weinen.

Der Doc hatte uns ganz schön auf die Folter gespannt. Gab mir (unnötige…) Bewegungs- und Ernährungstipps, erzählte Belanglosigkeiten bis er endlich zum entscheidenden Satz kam:

„Nach Ansicht ihrer CTs ist der Tumor weg. Da ist nichts mehr.“

Da reagierte ich noch relativ cool. 

Draußen platzte es dann aus mir raus. Und ich heulte.

 

Ich weinte den ganzen Tag immer wieder und weine auch jetzt noch manchmal, nachdem es in den letzten drei Tagen so langsam Gestalt annimmt und ich es begreifen kann: Der Tumor ist besiegt.

Ne hammerharte Chemo- und Radiotherapie, zusätzlich noch ein geplatzter Bauch und vier weitere Operationen - und da lag ich mehrmals auf der Kippe -, tierische Schmerzen: All das scheint sich jetzt doch gelohnt zu haben.

Auf Facebook veröffentlichte ich zwei Zeilen, „Kurz und Knapp: / Der Tumor ist besiegt!“ und bekam über 200 Rückmeldungen. Bei vielen davon flossen dann wieder meine Tränen.

Ich war gerührt über so viel wirklich aufrichtige Teilnahme.

Und mit meiner Frau und ihrer Mutter fuhren wir dann am Nachmittag in unseren Lieblingsbiergarten an der holländischen Grenze, zur Feier des Tages gönnten wir uns einen Grand Marnier und ich wusste wieder, warum ich eigentlich nichts Hochprozentiges trinke.

Und am nächsten Abend gönnten wir uns einen Champagner. 

Wir waren einfach nur platt, ruhten uns dann einen Tag aus, um jetzt wieder in den normalen Wahnsinn zu starten.

 

Der besiegte Tumor heißt ja nicht, dass ab jetzt alles gut ist.

39 Kilo Gewicht sind mindestens 10 zu wenig, eigentlich sogar 20. Mein Bauch muss wieder zuwachsen. Ich muss mich wieder mehr bewegen können, wieder laufen lernen und mich längerfristig konzentrieren können. Ich muss wieder einen vernünftigen Schlaf-Wach-Rhythmus entwickeln. Ich muss die Schmerzmittel reduzieren. All das wird dauern.

Und ist ab jetzt der wirkliche Kampf, den ich zumindest beeinflussen kann.

Der Krebs lässt sich nicht besiegen. Bleibt immer bei mir, hinterlässt Narben und Wunden und Folgeerscheinungen. Nach über 15 Jahren ist mir das schmerzlich klar.

Aber damit kann ich leben.

Der Kampf geht weiter.

Natürlich werde ich irgendwann gehen und verlieren.

Aber nicht heute und auch nicht morgen!

 

Ich habe es bis hierhin nicht alleine geschafft.

Kein Mensch schafft sowas allein.

Ein Steiftier-Löwe bewacht mich, wurde als Geschenk von einem Dichter geschickt und wird in Ehren gehalten.

Ein Bruce Springsteen - Bootleg bereichert meine Plattensammlung, die kam von einem anderen Kollegen und Freund.

Zig Bücher, die alle darauf warten, dass ich wieder Muße und Energie zum Lesen finde. Pakete und Briefe der letzten Monaten brachten mich zum Weinen.

All die vielen mitfühlenden Kommentare und Nachrichten.

All das bringt mich dazu, weiterzumachen.

 

Mein bester Freund und unser Trauzeuge, beinahe ein Bruder, war und ist immer da (Nein, er ist nicht auf Facebook und kein Dichter…).

Unsere Trauzeugin ist momentan selber an Krebs erkrankt. Und auch sie erwischte es heftig. Trotzdem war da soviel Mitgefühl und Anteilnahme, dass ich mal wieder weinen muss.

 

Was meine Frau alles erleiden musste und immer noch erleidet lässt sich nicht in Worte fassen.

Ich brauchte und brauche ja nicht nur ihre Pflege und ihre Kontakte zu den Ämtern, Kassen und Ärzten.

Ich falle auch bei den Hundegängen, der Hausarbeit und allen sonstigen Tätigkeiten aus.

All das meistert sie bewundernswert.

Dazu noch die Pflege ihrer Mutter und über all dem die Sorge um mich:

Sie will möglichst schnell einen Urlaub und den braucht sie auch und soll sie so schnell wie möglich bekommen.

Allein ihr zu Liebe werde ich alles geben, um fitter zu werden.

 

Ich kann ja nix dafür.

Ohne meine geliebte Claudia wäre ich nicht mehr. 

Hier und überhaupt.

Zum Dank muss sie jetzt noch meine Ungeduld und Depressionen ertragen…

 

Heute fuhren wir das erste Mal in diesem Jahr nach Holland rüber.

Auf dem Rückweg sahen wir einen wunderschönen Regenbogen.

Alle Farben satt und glühend und - einfach wunderschön.

Ein Regenbogen funktioniert nur mit Regen.

Ich glaub damit habe ich mein Oktobermotto gefunden…

 

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