Endspurt

Morgen dann die vorerst letzte Bestrahlung. Und ich habe heute wieder eine schlafarme Nacht vor mir.

Danach brauche ich n paar Wochen, um mich von Chemo und Bestrahlung zu erholen und in ein/zwei Monaten bekomme ich dann das Ergebnis der Tortur.

 

Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten:

1.: Die Chemo und Bestrahlung war erfolgreich, ich muss jetzt regenerieren und eben mit den Spätfolgen leben. Es geht weiter!

2.: Die Behandlung schlug an, reichte aber nicht aus.Das heißt, ich muss den Scheiß in irgendeiner Form nochmal durchmachen. Habe ich eigentlich keine Kraft zu.

3.: Ach nee… Denke ich noch nicht drüber nach…

Ich werde es in ein/zwei Monaten wissen.

Bis dahin: Daumen drücken!

Und: Durchdrehen verboten!

 

Ach ja. Ich habe ja noch meinen offenen Bauch und die Riesenwunde. Hätte ich beinahe vergessen…

Claudia wechselt täglich den Verband und es bessert sich  erstaunlich schnell. Vielleicht ist das Ding wirklich in zwei Monaten schon zu!

 

Momentan gehe ich im wahrsten Sinne des Wortes am Stock.

In unserer Wohnung.

Entfernungen über 100 Meter werden im Rollstuhl bewältigt.

Es läuft wohl auf einen Rollator hinaus. Ich hasse diese Teile aber mein Schwindel und meine Schwäche lassen da keine Alternative.

Ich fette Sau wiege noch 42 Kilogramm. Meine Oberarmmuskulatur ist irgendwann verschwunden, genau wie meine Oberschenkel und eigentlich alles.Nur meine Füße und Fesseln sind dick - voller Wasser.

Sobald ich an Gewicht zulege werde ich mit Muskelaufbau und Bewegungen starten, momentan kippe ich nach zwei Minuten Stehen schon um, da macht das keinen Sinn.

Ich muss und werde die Schmerzmittel reduzieren. Momentan brauche ich sie noch. Dabei kann ich nichtmal sagen, dass sie wirken. Aber ich will es nicht ausprobieren. Noch nicht.

Fentanyl (da habe ich die Dosierung reduzieren lassen, sorgte für Paranoia und schlechte Tagträume), Novalgin (bei Bedarf. Und es wirkt und ich brauche es) und zusätzlich Amitriptylin als Antidepressivum (Nein, ich hatte keine ernsthaften Suizidgedanken, nur ein: „Ich kann und will nicht mehr.“ Keine Ahnung, ob das wirkt. Krebsbedingte Depressionen halte ich für normal und selbstverständlich):

Mehr als genug. Was weiß denn ich…

 

Midnight Oil, Depeche Mode, Peter Gabriel und Nick Cave bringen mich per YouTube durch den Abend.

Ich will nochmal ins Ruhrstadion. Zu meinem VfL Bochum. In mein Wohnzimmer: Block P, links.

Immerhin: Ich habe jetzt wahrhaftig die Kontaktadresse zu einem Fanklub aus Ahaus, da werde ich mich kümmern.

Ich will wieder auf Konzerte gehen (GEHEN! Nicht gefahren werden!). Ich will wieder tanzen, will mich begeistern lassen. Ich will wieder Gitarre spielen und singen, vielleicht nur für mich, egal.

Ich will nochmal auf irgendeiner Bühne stehen. Am liebsten mit unserer damaligen Band. Oder auch als Autor bei einer Lesung. (Her-)Mann wird ja noch träumen dürfen.

Ich will mit meiner geliebten Frau und unseren Hunden mal wieder spazieren gehen.

Sie träumt schon von einem gemeinsamen Urlaub oder wenigstens einen Tag am Meer. Das will ich auch, ist aber leider noch lange nicht möglich.

Ich will leben - ohne immer den Krebs im Nacken zu haben.

Ich will schreiben - ohne über diese Scheiße zu jammern.

Ich will lieben - ohne Angst, dass ich meine Liebe überfordere und ohne Zukunftssorgen.

Ist das alles zu viel verlangt?

 

Bei der jetzigen Tortur konnte ich meine FreundInnen halbwegs raushalten. Sie haben sich Sorgen gemacht, klar. Aber ich hatte ja Claudia.

Ohne sie hätte ich nicht überlebt.

Ohne sie hätte ich auch nicht die Kraft gehabt, es nochmal zu versuchen.

Viel zu oft hat sie meinen Frust mitbekommen. Zum Beispiel bei der Fußpflege mutiere ich (ähnlich wie damals mein Vater) zum Arschloch und Monster. Und ich reagiere allergisch auf jede Art der Bemutterung. Das alles musste sie erleiden. Und wird es weiter erleiden müssen.

Ich habe keine Ahnung, woher sie ihre Energie nimmt. Neben mir muss sie ja auch noch ihre Mutter pflegen und sich um unsere Hunde kümmern. Und das Riesengrundstück und Haus halbwegs in Schuss halten.

Claudia ist ein Engel.

Und schiebt Überstunden ohne Ende.

 

Ich gestehe, ich hatte wenig Kraft für Literatur und Poesie. Zu lesende Bücher stapeln sich mittlerweile.

Ich hatte auch wenig Kraft für neue Musik. Obwohl die Musik (mein Fundus und doch einige Highlights der Neuerscheinungen) mich immer begleitet hat, mein Herzschrittmacher war.

 

In ein paar Stunden habe ich die Scheiße erstmal hinter mir.

All die Fragezeichen machen es nicht leichter aber ich werde jetzt regenerieren.

Es gibt genug Sachen, mit denen ich danach durchstarten könnte.

Aber ich lasse mich nicht mehr unter Druck setzen.

Wichtig ist meine Frau Claudia. Wichtig sind meine FreundInnen. Meine Familie. Unsere Hunde.

Alles andere kommt danach.

 

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