Zustandsbeschreibung eines alten kranken Mannes in Zeiten der Pest

 

Warum ich nichts Neues mehr schreibe -
Zustandsbeschreibung eines alten kranken Mannes in Zeiten der Pest

 

 

 

Natürlich machte mich die Pandemie ziemlich sprachlos: Andere Menschen hatten mehr Ahnung, deren Texte leitete ich weiter und kommentierte höchstens ein bisschen.

 

Und viele Reaktionen und Verhaltensweisen machen mich wütend und lassen mich noch mehr an den Menschen hier zweifeln.

 

Die deutlich auftretenden Missstände im Gesundheitswesen, der Bildung, der Kinderbetreuung, der Situation der Leih-arbeiter oder Saisonarbeiter, die Lücken im digitalen Netz undundund: Ich habe keinen Bock selbstherrlich zu schreiben, dass ich das schon immer gesagt habe.

 

Und dann das Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens, der Kultur und vieler Selbstverständlichkeiten: Für mich – eh ziemlich isoliert lebend – änderte sich wenig. Aber es blieb hängen. Und trieb mich dann doch in eine Antriebslosigkeit.

 

Wir in Dland sind bisher relativ gut durch die Pandemie gekommen. Trotz Spahn, Laschet, Söder und Co.
Ich muss nur 8 Kilometer weitergucken und sehe meine holländischen Nachbarn.
Und wenn ich weltweit gucke, dann weiß ich, dass die Scheiße noch lange nicht vorbei ist.

 

Noch sind die Auswirkungen der fürchterlichen Fußball-EM nicht vollständig sichtbar, aber jetzt gibt es schon über 3000 Neuinfizierte durch diese EM und die Zahlen werden steigen. Und jeder Infizierte wird weitere Menschen anstecken. Ist so.

 

Und in NRW wird gelockert ohne Ende und in Sachsen soll die Maskenpflicht abgeschafft werden und ich befürchte neue Varianten, nicht nur Delta, und habe jetzt schon Angst vor dem Herbst.

 

So viel dazu.

 

 

 

 

 

Zusätzliche persönliche Katastrophen und Entwicklungen im privaten Umfeld und eine generelle Verschlechterung meines Gesundheitszustands beschleunigten meine Dauermüdigkeit und mein Gefühl, dass ich einfach nicht mehr kann. Einfach nicht mehr will.

 

Zum Beispiel aktuell:

 

Plötzlich machte es laut „Knack“ (ja, man hört das wirklich) und zeitgleich ein wahnsinniger Schmerz in meiner rechten Wade. Ich wusste es: Scheiße. Muskelfaserriss.
Die Wade wurde schnell heiß und schwoll an und ich konnte kaum noch auftreten.
Gerade hatten wir wieder eins unserer Entrümpelungsprojekte begonnen und ich fiel sofort direkt aus.
Nach einer Woche kann ich wieder halbwegs normal laufen, nur Treppen machen extreme Schwierigkeiten. Und natürlich tut es weh, das wird es auch noch ein paar Wochen lang.

 

Solche Kleinigkeiten reichen bei uns ja nicht. Zu allem Überfluss wurde meine Frau von Insektenstichen geplagt und ihr rechter Fuß und die Wade sind extrem angeschwollen, rot und heiß. Sie kann ebenfalls kaum auftreten.
Und bei unseren zwei geliebten Fellnasen ist es unmöglich, dass wir beide zeitgleich ausfallen.
Wir beißen auf die Zähne (HaHa) und kämpfen uns durch.

 

 

 

Zusätzlich bleiben die zehntausend Baustellen im viel zu großen und maroden Haus, der Kampf mit dem Alzheimer und der Hinterhältigkeit der Mutter/Schwiegermutter und mein persönlicher körperlicher Zerfall und die Müdigkeit nach über zwölf Jahren Leben mit dem Krebs und den chronischen Schmerzen.

 

 

 

Mein neuer Gedichtband ist seit über einem dreiviertel Jahr überfällig, zum Glück hat der Verleger Geduld und Verständnis. Mein Chapbook-Projekt liegt auf Eis, da ist der (andere) Verleger wahrscheinlich sogar froh, da er so viele Projekte am Laufen hat.
Ich wollte mich an drei Ausschreibungen beteiligen – läuft nicht. Egal.

 

Mehrere angefangene Literaturprojekte verstauben in der Cloud.
Ist halt so.

 

Ich will in meiner Literatur Corona so wenig wie möglich erwähnen.
Ich will nicht über Masken, Abstand, Hygiene, Impfungen schreiben.
Ich will Liebesgedichte (meine Frau hätte sie verdient!).
Ich will über unsere Hunde schreiben.
Und über die Natur.
Und über Hoffnung.

 

Meine Schreibe zeichnete sich bisher immer durch Authentizität, Rhythmus, Hoffnung und Humor aus. Die Scheiße wurde benannt, aber es gab immer noch einen Ausweg. Und es gab Liebe, Freunde, Rock’n’Roll und Zuversicht.
Irgendwas ging während dieser Pest verloren.
Ich hoffe, ich finde es wieder.

 

 

 

Wir drehen am Rad, irgendwie drehen alle am Rad und ich will gar nicht zurück zur alten Normalität:
Vielleicht finden wir ja zu einer neuen Normalität.
Und lernen irgendwann aus dieser Pandemie.
Es ist nötig:
Weitere Pandemien werden folgen und die Auswirkungen des Klimawandels werden überall immer deutlicher.
Und wahrscheinlich waren Einschränkungen der Freiheitsrechte – etwas, was ich absolut hasse – einfach nur unumgänglich, weil Arschlöcher und Idioten mit Freiheit nicht umgehen können und sich sonst nicht an notwendige Verhaltenshinweise halten.

 

Ich weiß es nicht.
Ich suche Hoffnung.
Zum Beispiel für die Kinder.
Und für alle Generationen nach meiner, die es eindeutig verkackt hat.

 

 

 

Überschwemmungen, Umweltkatastrophen gab es schon immer.
Wird es auch immer wieder geben.
Sicher ist nur der irgendwann unvermeidliche Tod.
Trotzdem:
Es nimmt zu.
Und ich sehe da schon einen Zusammenhang mit dem Klimawandel und der zerstörten Umwelt.

 

Vielleicht sind wir Menschen ja die nächsten Dinosaurier.
Die wurden damals auch durch einen Klimawandel ausgerottet.
Allerdings hatten die den nicht absichtlich selber ausgelöst…

 

 

 

Ich weiß momentan nicht, ob ich irgendwann noch ein neues Buch veröffentliche.
Es ist jetzt eher unwahrscheinlich.
Klar: Das tut weh.

 

Aber im Moment kämpfe ich jeden Tag ums Überleben. Und gegen meine Schmerzen und Depressionen (doch, auch wenn nicht ärztlich bestätigt: eindeutig).
Und selbst das alltägliche Leben gibt mir wenig Freiraum, um in Ruhe zu schreiben. Und ich lenke mich durch Netflix und Co ab.

 

Sobald meine Wade wieder mitspielt werde ich mit unseren Hunden spielen, im Garten arbeiten, mein Arbeitszimmer umräumen, an all den Baustellen im Haus arbeiten und vielleicht neu starten.
Noch geht da nichts.

 

 

 

Aber es gibt ja auch Hoffnung.

 

Im September ist ein Dichter*innentreffen bei uns geplant. Da freue ich mich drauf und vielleicht gibt das neue Kraft.

 

Und wir haben seit zwei Jahren immer noch unsere Tickets für das Pearl Jam – Konzert, mittlerweile Ende Juni 2022.
Und diese Band wollte ich schon immer in meinem Leben live sehen.

 

 

 

Es ist noch nichts vorbei.
Die Pest/Pandemie nicht, die Klimakatastrophen noch lange nicht und mein Dasein auch nicht.
Vielleicht kommt da noch was…

 

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0