Die Lieder von damals

Die Lieder von damals

 

 

 

Manchmal höre ich sie wieder

 

die Lieder von damals

 

als wir noch jung und

 

das Leben spannend war

 

 

 

Damals mit 14/15 Jahren

 

unsere ersten Biere in einer Kneipe voller Leute

 

vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt hatten

 

Die ersten Selbstgedrehten

 

die ersten Joints

 

der erste Sex

 

die erste Police-Platte

 

(Göttin – so lange ist das schon her! Und damals waren die richtig gut!)

 

Die ersten Flugblätter

 

die ersten Demos

 

und die ersten besetzten Häuser

 

(und wir immer staunende und begeisterte Gäste)

 

und natürlich immer wieder

 

alles von Ton Steine Scherben

 

 

 

Wir entdeckten Zappa und Bukowski

 

und machten das Ende einer Zeit des Aufbegehrens durch

 

- es war Herbst 77 (nee, bei mir 78)

 

und die BRD erlebte ein weiteres dunkles Kapitel

 

deutscher Geschichte

 

nicht nur in Stuttgart-Stammheim

 

In dieser Zeit tauschten wir Winnetou gegen

 

„Bury my heart at Wounded Knee“

 

selbst von T.Rex

 

(und natürlich The Sweet und Status Quo)

 

nahmen wir schamvoll Abstand

 

Jim Morrison und Keith Richards dagegen

 

schwörten wir ewige Treue

 

(und haben sie bis heute gehalten)

 

 

 

Manchmal höre ich sie wieder

 

die Lieder von damals

 

 

 

Viele unserer Sterne sind gesunken

 

manche verdammt tief

 

während sie in Bierzelten

 

ihre eigene Legende in den Dreck ziehen

 

oder mit der x-ten Wiedervereinigung

 

Nostalgikern Kohle aus der Tasche ziehen

 

 

 

Die Kneipe unserer Jugend hat schon lange dicht gemacht

 

in ihren Räumen folgte eine Fahrschule

 

die damit warb, auf Cabrios zu schulen

 

The times they are a changing

 

 

 

Aus einer angeblichen Bewegung

 

wurde eine regierungsgeile Partei

 

Und der real existierende Mus lief mit wehenden Bananen

 

in ein WIEDERvereinigtes Land

 

Immerhin kann uns

 

niemand mehr

 

„Nach drüben“ wünschen

 

 

 

Währenddessen wurden wir mehr oder weniger erwachsen

 

und verloren immer mehr

 

unsere Heimat

 

die wir nie richtig lieben konnten

 

 

 

Und irgendwo

 

verloren wir auch

 

unsere Ideale und Ziele

 

und Träume

 

Irgendwo

 

blieben sie einfach auf der Strecke

 

 

 

Manchmal höre ich sie wieder

 

die Lieder von damals

 

Manchmal singe ich mit

 

und tanze heimlich in meiner Bude

 

 

 

Die alten Lieder

 

die alten Plätze

 

Im Stadtgarten trafen wir uns bei Rotwein und Bier

 

Wir nahmen uns unsere Freistunden

 

und schafften es

 

das Gymnasium zu überleben

 

 

 

Am Kanal sprangen wir von der Brücke

 

und hängten uns an die Frachtkähne

 

Jugendlicher Übermut

 

der mir heute nur noch ungläubiges Kopfschütteln entlockt

 

 

 

Für die Bullen waren wir willkommene Opfer

 

mit unseren frisierten Mofas

 

Dann kamen die Mopeds und die ersten Autos

 

billige Schrottkarren

 

verdient mit schlechtbezahlten Schweinejobs

 

 

 

Das war die Zeit

 

als Tabak noch finanzierbar

 

und ein Bier unter einer Mark zu haben war

 

Das war die Zeit als die Mädels noch keine BHs trugen

 

und im Schwimmbad träumten wir davon

 

die weißen Stellen unter den Bikinis zu erforschen

 

 

 

Manchmal höre ich sie wieder

 

die Lieder von damals

 

als vieles noch viel spannender war

 

 

 

Jetzt haben sich die meisten von uns arrangiert

 

Wir gehen Berufen nach

 

die uns nicht Berufung sind

 

haben uns beamten lassen

 

setzten Kinder in die Welt und

 

sind verheiratet oder geschieden

 

Unter uns sind Hausbesitzer

 

aber auch immer noch

 

die letzten Mohikaner

 

 

 

Und manchmal bleiben wir verwundert stehen

 

blicken uns um

 

hören in uns

 

und fragen uns

 

ob da noch was ist

 

außer den Erinnerungen

 

an die Zeiten von damals

 

 

 

Manchmal höre ich sie noch

 

 

 

 

Irgendwie standen wir irgendwo

 

immer dazwischen

 

vor uns die Freaks und nach uns die Yuppies und Punks

 

Und einige blieben auf der Strecke

 

Die Liste der Niederlagen ist lang

 

und endet bei Suizid, Drogentod oder Krebs

 

 

 

Manchmal glaube ich

 

dass die Party endgültig vorbei ist

 

alle Partys vorbei sind

 

Dann wieder

 

dass die Party nie endet

 

das Leben eine einzige Party ist

 

Manchmal höre ich sie noch

 

die Lieder von damals

 

 

 

Manchmal höre ich die Lieder von heute

 

Immerhin:

 

Auch da

 

sind einige Perlen dabei

 

 

 

Anmerkungen zu „Die Lieder von damals“:

 

Das Gedicht ist über zehn Jahre alt. Heute würde ich es anders schreiben.

 

Aber ich bin eben Jahrgang 1963 und ich glaube, dass alle zwischen Jahrgang 61 und 65 das nachvollziehen können.

 

Heute müsste ich die 20% Rechtsradikale im Osten erwähnen, müsste die gestorbenen Helden ehren und sollte auch nicht die Hoffnung auf die Jugend und FFF unerwähnt lassen.

 

Ich lasse es trotzdem so stehen…

 

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