TÜV? Bei mir keine Chance

 

Kommende Woche muss unser Auto zum TÜV.
Wahrscheinlich relativ stressfrei, er ist noch nicht so alt und außer einem kleinen Unfall am rechten Vorderrad (ne Macke in der Felge) ist alles okay.

 

(I‘ll hope so…)

 

Früher fuhr ich oft alte gebrauchte Karren, die nach zwei Jahren ihr Todesurteil bekamen: Der TÜV-Termin war dann immer das Ende.

 

Meine Autos kosteten selten mehr als 1000,- DM, später €, und ich liebte die rostigen, alten Dinger mit Persönlichkeit und Macken und einem klaren Verfallsdatum: eben der nächste TÜV.

 

Ein Hoch auf die Strich Achter Benz!
Und ja:
Ich träume davon, irgendwann wieder so ein Teil zu fahren.
Auch wenn ich körperlich an meine Grenzen ohne Servolenkung komme.

 

Ein weiterer Traum:

 

Ich möchte mein nächstes Buch auf einem Mac Book schreiben.
Schon etwas realistischer, aber wahrscheinlich auch unerreichbar.
Mein alter PC und mein Laptop tuen es aber auch.

 

 

 

Eigentlich will ich ja über den TÜV schreiben.
Wie würde mein persönlicher TÜV ausfallen?
Klar: Ich bekäme keine Plakette.
„Erhebliche Mängel. Neuvorstellung in 6 Wochen.“

 

Und da reicht es nicht, ein paar Schrauben und Bremsbeläge zu wechseln, neue Einstiegsschwellen einzuschweißen und vielleicht den Auspuff zu erneuern.

 

Ich würde stillgelegt.

 

Aber vielleicht komme ich ja an Oldtimer-Liebhaber, die mich – wenn möglich – restaurieren.
Noch bin ich nicht auf dem Schrottplatz.

 

 

 

Für Menschen gibt es keinen TÜV.
Göttin sei Dank!

 

 

 

 

 

 

 

Ich kenne das alles.
Ein Deja Vu der beschissensten Art.

 

Die Diagnose Krebs kommt heftig. Und natürlich suche ich mir keine einfachen oder leichten Arten aus.

 

Nach meinem Oberkieferkarzinom ist es jetzt am Kehlkopf.
Tolle Wurst.
Und einfach scheiße.

 

Andererseits einfach nur eine Folgeerscheinung und nach 15 Jahren doch relativ spät gekommen und jetzt ist es halt so.

 

Meine Akte in der Mund-, Gesichts- und Kieferchirurgie ist dick und lang und solch eine Datenmasse taucht dort selten auf.
Irgendwann sagte der Chefarzt „Das ist Herr Borgerding, den hat noch nichts platt gekriegt.“.
Doch. Hatte es.
Und hat es jetzt absolut.
Aber ich war trotzdem irgendwie stolz.

 

 

 

Nach meiner Krebserkrankung vor 15 Jahren musste ich ein neues Leben beginnen.

 

Plötzlich war ich ein Krüppel.

 

Mit Artikulationsproblemen, mit Schwierigkeiten beim Essen, mit extremen Voralterserscheinungen und mit Schmerzen und keiner Chance mehr, in meinem Beruf als Krankenpfleger (und: ich war gut als Pfleger!) zu arbeiten.

 

Ich machte trotzdem mit den Leben weiter.

 

Und ich lernte die Liebe meines Lebens kennen, schrieb Bücher, machte Lesungen und das war alles okay.
Aber es schmerzte ständig.

 

Vor zwölf Jahren machte ich Claudia einen Hochzeitsantrag (scheiß Wort).

 

Ich warnte sie, dass es zeitlich sehr kurz werden könnte. Ich sagte ihr, dass ich ihr mein Leben anvertrauen würde. Sie war bereit dazu.

 

Wir hatten wunderbare Jahre und Momente für die Ewigkeit.
Und haben es immer noch, trotz all dem Stress.

 

Jetzt leidet sie. Und ich fühle mich schuldig. Und kann es nicht ändern.

 

 

 

Es ist noch nicht vorbei.

 

Ich höre gerade „Rock n Roll Suicide“ von Bowie.

 

Es gibt Ewigkeiten.

 

Und wir sind nicht allein.

 

 

 

 

 

 

 

Ich bin ja nicht nur doof.

 

Und ich bin (war) Krankenpfleger.

 

Und kann die Zeichen meines Körpers deuten.

 

Glaubt mir, ich gehe nicht freiwillig in ein KrankMachendesHaus, wenn ich nicht sicher bin, dass da was ist.

 

Die jetzige Bestätigung macht es allerdings nicht besser.

 

Und ich höre in mich hinein und habe das Gefühl, dass dieses Ding an meinem Kehlkopf täglich wächst und mir stärkere Schmerzen bereitet.

 

Donnerstag werde ich erfahren, ob es eine heilende oder eine „nur“ schmerzlindernde Bestrahlung werden wird. Und ob vielleicht danach noch eine OP ansteht. Vielleicht werde ich meinen Kehlkopf verlieren, vielleicht ist es mittlerweile egal.

 

Wahrscheinlich muss mir eine PEG gelegt werden, darauf habe ich mich eingestellt und es ist egal: Essen macht eh keinen Spaß, schmeckt nicht und tut weh. Dann fließ die Nahrung halt direkt in meinen Magen.
Vielleicht schmeckt der Kaffee und das Bier noch oral,
wenn nicht, dann ist es eben so.

 

Ich werde die Ärzt*innen nicht nach zeitlichen Prognosen fragen. Ich werde selber keine erstellen.
Mein momentanes Gefühl (aber Donnerstag erfahre ich halt mehr…):
Wenn ihr mich noch mal sehen möchtet, solltet ihr euch nicht allzu viel Zeit lassen.
Und ich werde selbst bei ner Heilungschance dieses Jahr nicht mehr in der Lage sein, euch zu besuchen.

 

 

 

 

 

 

 

Ich hab jetzt Titanstäbchen in meinen Ohren.
Und meine Implantate sind auch aus Titan.
Ich bin nicht Superman, aber immerhin: Das ist wertvoll an mir.

 

 

 

 

 

 

 

Mein erstes Konzert nach der Krebs-OP vor 15 Jahren war Peter Gabriel.
Und ich habe geweint.

 

Bei M. Walking On The Water bin ich dann beinahe zusammengebrochen. Aber ich lebte und war euphorisch.
Und dann die Wahnsinnsfahrt nach Paris mit meinem Freund Kersten!
Ich sah Tom Waits live!

 

Und da kamen noch viel Konzerte und wären noch viel mehr gekommen, wenn diese Corona-Pest nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.

 

Scheinbar sind Konzerte jetzt wieder möglich.
Bloß ich bin nicht mehr in der Lage dazu.

 

Die Whispering Sons vor einer Woche in Münster mussten wir canceln.

 

Pearl Jam war schon immer auf meiner Wunschliste.
Und in einer Stressaktion schaffte ich es wahrhaftig, zwei Karten für uns am 23.06.2020 zu organisieren. Fünf Minuten später war das Konzert ausverkauft.
Dann kam Corona. Und die Konzertverlegung auf 2021 und dann die Konzertverlegung auf 2022 und wahrhaftig: Im Juni 2022 wird das Konzert wohl stattfinden.
Blöderweise ohne mich: Es geht einfach nicht mehr.
FUCK!

 

Für November haben wir Karten für Porcupine Tree.
Bis dahin ist noch viel Zeit.
Aber ich bin eher pessimistisch…

 

 

 

 

 

 

 

Genug gejammert.

 

Der VfL Bochum ist die Mannschaft der diesjährigen Bundesligasaison und ich bin begeistert und stolz, auch wenn ich es nur an der Glotze verfolgen konnte:

 

Vor Saisonbeginn war klar, dass Fürth und Bochum direkt wieder absteigen.
Mit einem Zehntel der finanziellen Möglichkeiten der anderen Bundesligaklubs war der Klassenerhalt beinahe utopisch.

 

Die Bayern besiegen den VfL 7:0 und wir zuckten die Achseln und dachten uns, dass das eben eine andere Klasse und Liga wäre.

 

Und dann kam die Wende.

 

Und der VfL kämpfte.
Trotzte dem BVB ein Unentschieden ab, besiegte die Bayern im Rückspiel und schaffte gestern in einem Wahnsinnsspiel die Ruhrpottmeisterschaft gegen den BVB und ich bin hin und weg.

 

Zwei Spieltage vor Saisonende kann nichts mehr passieren und der VfL bleibt erstklassig.

 

Und in all den Jahren davor hatte ich mir kaum erträumen können, meinen VfL nochmal in der ersten Liga zu erleben, geschweige denn, einen Klassenerhalt zu feiern.

 

Vielleicht werde ich ja irgendwann wieder mein damaliges Wohnzimmer, Block P im Ruhrstadion, besuchen können.
Eher unwahrscheinlich.
Aber auch vor dem Fernseher/Bildschirm ist dieses Feeling einfach nur geil.
Und Fußball ist immer noch wichtig.
Zumindest für mich.

 

 

 

 

 

 

 

Wollt ihr Literatur, Lyrik, Poesie in meinem Blog?

 

Vergesst es:

 

Ich schreibe meinen Krebsscheiß und therapiere mich damit.

 

Wenn ihr teilnehmen wollt – okay.

 

Wenn nicht, dann eben nicht.

 

 

 

Immer noch will ich mindestens ein Buch schreiben.

 

Vorher muss ich n paar Kleinigkeiten und Patientenverfügung und so einen Scheiß klären und meiner Frau alles überlassen.

 

All das ist nicht einfach.
Weil ich meinen anstehenden Abschied damit akzeptiere.

 

Ich hätte es vorher machen sollen.

 

 

 

 

 

 

 

Ich bin im Abschiedsmodus.
Auch weil ich keine Kraft mehr in mir spüre.
Vielleicht erfahre ich ja kommenden Donnerstag noch mutmachende Prognosen, ich befürchte, das wird nicht der Fall sein.

 

Wenn ich kann und will werde ich euch auf dem Laufenden halten.

 

Wenn nicht, dann nicht.

 

 

 

Ich habe einen Freifahrtschein:
Ich habe Krebs.
Ich darf das.
Ich darf alles.

 

(Sollte eh auch ohne Krebs jede*r dürfen!)

 

 

 

 

 


 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Elke Ausm Ruhrpott-Süden (Mittwoch, 11 Mai 2022 10:55)

    Hallo Hermann!
    Ohje - und da mache ich mir Sorgen um meine Optik, die Veränderung, die der Verlust der Zähne mit sich bringt im Laufe der Jahre (Kieferschrumpfung / Altenfresse)...
    Ich fand dich im Netz bei der Suche nach einer Lösung dieses Problems unter den "Google-Bildern" :o))
    Nun hat sich mit deiner traurigen und starken Geschichte das Problem bei mir aufgelöst - mir geht es im Vergleich zu dir jetzt doch ganz gut...
    Ich wünsche dir / euch alles Liebe und viel Power und und und...!
    Liebe Grüße
    Elke