Ein Tag im November 2020 / Coronagedanken

 

 

 

 

 

Wir haben November. Es ist 2020. Das Jahr, das so richtig beschissen von der Corona-Pandemie bestimmt wird.

 

8.30 weckt mich das Trommelgedröhn aus meinem iPhone.

 

2 Tassen Kaffee, 3 Zigaretten, dann bringe ich die Schwiegermutter zur Tagespflege, die zuvor von meiner Frau Claudia versorgt wurde.

 

Erster Blick in den Computer: Mails, Tagesschau, Facebook, aber noch keine Reaktionen (außer Depressionen bei der Tagesschau) meinerseits.

 

10.00 Uhr bin ich wieder da. Noch einen Kaffee, dann packe ich unsere Hunde ins Auto und fahre zum Wald (ca. 2 Km).

 

Heute ist Buß- und Bettag. Früher war da frei. Heute ist das egal: Eigentlich habe ich jeden Tag frei, eigentlich habe ich nie frei.

 

Der Dunst verzieht sich und die Sonne taucht das Herbstlaub und den Wald in wunderschöne Farben.

 

Aron zieht an der Leine und ist guter Dinge, Dushka, die ich von der Leine befreit habe, hoppelt hinter uns her. Beide Hunde sind spürbar alt. Die Runden werden zwangsläufig kürzer, obwohl sie oft länger dauern.

 

Ich genieße den Spaziergang.

 

Kurz nach 11.00 Uhr mache ich mir dann mein Frühstück. Eine Bananenmilch mit Ei und Sahne und ein Brötchen.

 

Ja. Ich kann ein Brötchen essen! Allerdings brauche ich dafür eine dreiviertel Stunde und absolute Ruhe. Essen ist kein Vergnügen, sondern notwendige Nahrungsaufnahme. Immerhin, ich kann feste Nahrung zu mir nehmen, auch wenn meine Prothesen nur mit massig Haftcreme halten und dies den Geschmack und die Konsistenz des Schleims extrem verschlechtern.

 

Ich bin eben ein überlebender Krebskrüppel, da kann man nix machen.

 

Beim Frühstück gucke ich meist irgendeine Serie oder einen Film auf den Computer, heute ist es Carpenters Vampire…

 

Meine geliebte Frau macht in der Zeit den Haushalt, nach meinem Frühstück greife ich ihr dabei unter die Arme.

 

An Tagen der Tagespflege leisten wir uns dann puren Luxus:

 

Von halb Eins bis 14.30 legen wir beide uns ins Bett und entspannen und atmen durch. Umarmen uns, schlafen.

 

Mr. Alzheimer der Schwiegermutter ist ein Arsch und zerrt an unseren Nerven. Wir brauchen das.

 

14.30 Uhr dann der nächste Kaffee.

 

Und irgendein Kram im Haus. Heute bringe ich Altkleidung in den Container (immerhin 5 Säcke weniger) und entsorge unser Leergut.

 

Kurz vor 16.00 Uhr packen wir die Hunde und den Rollator ins Auto, holen die Schwiegermutter von der Tagespflege ab und drehen alle eine weitere Hunderunde.

 

Gerade für Gisela und ihren Lebensgefährten Mr. Alzheimer sind diese Spaziergänge Gold wert.

 

Und heute ist es golden: Die untergehende Sonne, die klare Luft, Oktoberfeeling im November!

 

Gegen 18.00 Uhr sind wir zurück und bereiten das Abendessen. Heute ausnahmsweise getrennt, da Claudia und Gisela Stielmuseintopf essen und ich den hasse. Ich mache mir Rahmrosenkohl mit Hähnchennuggets und Pommes. Okay, damit habe ich heute ne Niete gezogen, kann passieren…

 

Claudia telefoniert mit einer Freundin, ihre Mutter sitzt in der Küche neben ihr und ich verziehe mich ins Arbeitszimmer.

 

Musik, Computer, Zigaretten, Bier.

 

Facebook, Nachrichten, Netflix oder Prime, an guten Tagen Schallplatten und Schreiben. Heute ist ein guter Tag.

 

Gegen 20.00 Uhr setzt sich Claudia mit Gisela vor den Fernseher und ich bleibe in meinem Arbeitszimmer hängen.

 

Das ist jetzt.

 

Oft bleibe ich dann den ganzen Abend in meinem Arbeitszimmer hängen, manchmal schaffen Claudia und ich noch ein, zwei Stunden für uns.

 

Gegen 22.00 Uhr wird Gisela ins Bett gebracht, gegen 23.00 Uhr drehen wir oder ich eine kurze letzte Hunderunde, vor 24.00 Uhr kommen wir selten ins Bett.

 

So ist unser Tag, so ist mein Tag.

 

 

 

Die vielen Baustellen, der riesige Garten – all das ist ja auch noch da. Oder Ausflüge, wenn das Wetter oder die Pandemielage das ermöglichen, was ja im Moment nicht der Fall ist.

 

Langweilig ist es selten.

 

 

 

Seit über einer Woche will ich mit einer Kollegin und Facebookfreundin telefonieren. Ich kriege es nicht hin. Meine FreundInnen habe lange nicht mehr mit mir gesprochen, ich komme nicht dazu und telefonieren strengt mich sehr an. Immerhin habe ich es letztes Wochenende geschafft, mich bei meiner Schwester, meinen Nichten und meinem besten Freund zu melden.
Mehr geht im Moment nicht.

 

 

 

 

 

 

 

So. Und jetzt der unfreundliche Teil des heutigen Tages.

 

Corona nervt uns alle. Viele drehen durch. Das ist verständlich.

 

Was ist heute passiert? Da wurde ein neues Infektionsschutzgesetz im Eiltempo durch Bundestag und Bundesrat gejagt. Ein Gesetz, das ich nicht gut finde und das mit Sicherheit verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. Dagegen darf man protestieren.
Da wird auch die Judikative noch ein Wort mitsprechen.

 

Aber dieses Gesetz soll halt die Absicherung der schon bestehenden Maßnahmen gegen eine Pandemie liefern. Und schnelle Maßnahmen, die dann parlamentarisch kontrolliert werden, absichern.

 

Wir leben in einer recht stabilen Demokratie und auch wenn ich bei vielen Sachen widerspreche und eher dem gefühlsanarchistischen linksversifften Lager zugehörig bin: Hier in Dland ist es trotz Corona noch erträglich.

 

Gerade dass die Demos heute in Berlin stattfinden durften beweist, dass wir eben nicht in einer absoluten Diktatur leben. Und das ist auch gut so.

 

Die DemoteilnehmerInnen als hirnlose Arschlöcher zu bezeichnen ist aber eben auch mein Recht:

 

Ich kann mich an keine linke Kampfdemo erinnern, wo Kinder und Haustiere als Schutzschilde missbraucht wurden.
Ist heute bei den Corona-Leugnern passiert.

 

Ein (!) Wasserwerfer „beregnet“ die Demonstranten, nachdem die Demo aufgelöst wurde. Wie niedlich! Kenne ich anders…
Und die Demo wurde nicht inhaltlich, sondern nur wegen massiven Verstößen gegen jegliche Auflagen aufgelöst!

 

Ein Stück Stoff vor dem Mund und die Kinder werden mit Anne Frank verglichen? Geht es noch!

 

Und auch wenn ich Kritik an diesem Infektionsschutzgesetz habe – wer hier von einem „Ermächtigungsgesetz“ spricht verharmlost auf widerliche Art und Weise die dunkelste Seite unserer Geschichte.
Zum Kotzen!

 

 

 

Diese Pandemie ist schwer greifbar und eine dunkle Wolke über uns allen, die eben nicht fassbar ist.

 

Wenn es mich erwischt, dann war es das wohl für mich. Eigentlich möchte ich lieber an meinem Krebs sterben.

 

Weltweit werden Standard-OPs verlegt – die sind ja nicht unnötig, sondern dienen der Gesundung und einem schmerzarmen Leben!

 

Weltweit krepieren massig Menschen und die Idee der Triage ist in vielen Ländern brutale Wirklichkeit.

 

Und hier schaffen es Nazis, Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker und andere schwurbelnde Arschlöcher ein ekelhaftes Hassklima zu erzeugen!
Und wer da mitläuft oder denen zustimmt ist für mich nichts anderes als ein Steigbügelhalter für Nazis.

 

 

 

Ich bin wütend. Auch wenn es nur ca. 10.000 „Menschen“ waren.
Die Mehrheit in Dland stimmt den Einschränkungen des alltäglichen Lebens zu.
Aber diese Minderheit schafft es, das viele den Ernst der Lage nicht mehr schnallen.
Und die Lage ist ernst.

 

 

 

Selbst wenn diese ganze Pandemiescheiße vorbei ist, ist es ja nicht vorbei.

 

Die Kulturszene, die Kneipenszene, die Wirtschaft:
Wir werden noch lange an den Folgen leiden.

 

Und die Nazis und Co. wollen gerade das für sich nutzen.

 

Gar nicht so doof. Leider.

 

Aber doof, wer darauf reinfällt.

 

 

 

 

 

 

 

Die Hunde liegen neben meinem Schreibtisch zu meinen Füßen und genießen die Musik von John Cale.

 

21.00 Uhr und ich habe mich mit diesem Blog in einen Schreibflow (?) gebracht.

 

Ach ja. Und gleich kriegt ihr noch ne Platten-, Buch- und Filmvorschlag von mir…

 

 

 

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